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April  14
 

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Rilesi hat vor ein paar Tagen eine tolle Geschichte in meiner Mailingliste gepostet, die ich Euch nicht vorenthalten will. Das Thema an diesem Tag war das Zitat "sich zu Tode arbeiten ist die einzige gesellschaftlich akzeptierte Form des Selbstmordes".

Die dazu passende Geschichte:


Vampir

"Gieriges Vieh, du. Kriegst wohl nie genug. Zuerst hast du nur die Luft zum Atmen genommen, und dann von der Kraft und jetzt noch von der Zeit" sprach Silvia zu sich selbst. Sie spürte, wie sie
innerlich zu kochen begann.

Sie seufzte vor sich hin, sass auf ihrem PC-Stuhl zuhause und stützte das Gesicht in ihre beiden Hände. Da klingelte unerwartet das Telefon, sie zuckte aus ihren Träumen zusammen und nahm den Hörer ab, sagte aber nichts, ausser ein "Ja?". "Hallooo? Sind Sie zuhause? Wieso sind sie nicht zur Arbeit erschienen?" flötete die Stimme ins Telefon, mit zunehmender Schärfe im Ton.

Silvia zuckte mit ihren Schultern, es war ihr fast egal, was der Telefonhörer ihr ins Ohr brabbelte. "Weiss nicht, wieso, wissen Sie es?" antwortete Silvia der quäkenden Stimme.

"Sie haben ihre Pflicht zu erfüllen, dafür werden Sie bezahlt", zischte die Stimme jetzt ins Telefon.

"Und die Überstunden, die ich nie bezahlt erhalten habe, was ist mit denen?" antwortete mit monoton gleichgültiger Stimme Silvia, die sich gerade Gleichgültigkeits-Nebel befand, wo ab und zu lodernde
rote Feuer durch die graue Decke durchschlugen.

Einen Moment lang schwieg die Stimme.

"Sie haben ihre Pflicht zu erfüllen, das steht im Gesetz! Sie haben schliesslich einen Arbeitsplatz, das muss Ihnen genügen".

"Nein, es genügt mir nicht mehr" sagte Silvia trotzig ins Telefon und drückte auf die Austaste des Telefonhörers.

"Ha, der Stimme habe ich es gegeben!" strahlte Silvia und gleichzeitig fühlte sie, wie ihr Herz heftig zu pochen begann, vor Aufregung. Frevel, Auflehnung, Unordnung im System, Auflehnung – Sie? Die
Silvia. Wie hatte das kommen können? Silvia, das Arbeitstier, wurdezur Aufmüpfigen.

Die meisten Angestellten, Gefangene ihrer Arbeitsstunden, wartend auf imaginäre Belohnungen ausser Lohn? Die Bürovampire ihrerseits herrschten Tag für Tag im grausamer gewordenen Reich der Arbeit. Silvia wollte fliehen vor den Vampiren.

Oft genug hatte sie gesehen, wie ausgelaugte, gelb und graugewordene Geschöpfe sich angstvoll immer mehr durch den Alltag quälten am Arbeitsplatz, und beobachtet, wie oben das Geld himmelhochjubelnd in
Empfang genommen wurde, immer wieder, jedes Jahr, der Ertrag der Herrschenden. Was war mit der Zeit geworden, der Zeit, um sich an der Arbeit freuen zu können, auch wenn man angestellt war? Was war
aus der Freude an der Arbeit geworden.

Sie als Angestellte, sie hatte sich aussaugen lassen, so eine Gemeinheit, dachte Silvia, und jetzt wollte die Vampirklasse noch mehr an den Speck der Wesen, so glaubte sie. Mehr Blut, mehr, mehr von allem. Mmeeeehr. Wohin sie schaute, überall traf sie immer wieder auf sie. Als Ärzte verkleidet, saugten diese das Geld der Patienten ab, ohne oft grundsätzlich richtige Gegenleistung zu liefern. Leistung war schon da, aber zu teuer verkauft, zu wenig geleistet. Wenn sie solch halbe Leistungen nur für eine kurze Zeit
erbringen würde, dann wäre sie schon längst entlassen worden,schnaubte Silvia wütend.

Vampire!

Als Verkäufer verkauften sie wertlose Dinge, um für einen kurzen Moment das Gefühl zu geben, der Kunde sei ein Star. Der Kunde, vorher ein in seiner Welt verlorenes Wesen, wird für kurze Zeit ein glückseliger Gefangener in einer schwebenden Verkäufer-Glücksblase, die so schnell wieder zerplatzen wird, wenn der Verkäufer entschwunden ist.

Der Angestellte, gefangen in seinem Arbeitshamsterrad, der, wie so oft einem Lob hinterherrennt aber nie erhält und krampfhaft versucht, in seinem Kopf das Bild "Held der Arbeit" aufrechtzuerhalten, um sich selbst zu belohnen, um vor sich selbst bestehen zu können auf dem Schlachtfeld der Arbeitswildnis.

Mehr Zeit sollte es geben. Zeit war kostbares Gut geworden so wie Gesundheit auch. So wie es kostbar geworden war, wieder zu versuchen, eigene Gedanken zu denken zu beginnen, den Vampiren nicht
in die Fernsehfalle zu laufen, wo sie die Zeit der Menschen stahlen, Tag für Tag, und die Wesen für Stunden, Tage, Wochen und Jahre gehirntot stellten.

Mit den Vampiren zu tun zu haben, war tatsächlich schädlich für die Gesundheit, wenn man sich nicht ausreichend und im hohen Masse für sich selbst genügend einsetzen konnte, stellte Silvia für sich
selber fest. Aber sogar dann wurde es nur wenig leichter, mit unterschiedlichsten Methoden versuchten andere Mitmenschen ihr täglich Brot zu sichern. So viele unterschiedliche Strategien! Mehr Leistung als vereinbart zu erbringen lohnte sich nicht, das hatte sogar Silvia festgestellt, das brachte nur grosse Wut, wenn sich herausstellen sollte, dass die Leistung wortlos hingenommen worden war und nicht einmal ein Dankeschön oder eine Anerkennung rüberkam als Gegenleistung. Es war ein ständiges Abwägen und eine ständige Kontrolle nötig geworden im Arbeitsprozess, fand Silvia.

Was nützte jedoch alles Denken und so schöne Ueberlegen, wenn sich der Wind am Arbeitsplatz trotz aller Leistungen gegen sie gewendet hatte und aus hierarchisch höherer Quelle kam. Sie hatte sich nicht verpflichtet gefühlt, sich einzuschmeicheln, sondern viel eher, zu arbeiten; irgend etwas musste "in den falschen Hals gekommen sein", aller Leistungen ihrerseits zum Trotz.

Silvia seufzte schliesslich erleichtert auf, sie hatte ihren Fehler im Spiel des Lebens bemerkt. Sie hatte die Freiheit ihrer Gedanken wiederentdeckt und träumte sich dieser neuen Freiheit entgegen. Der
Freiheit des Gedankens, dass sie sich ihre eigene Freiheit schuldete und sie diese nicht von den "Vampiren" erwarten konnte, die konnte sie sich nur selbst geben, indem sie ihre eigene Strategie
entwickelte.

Am nächsten tag holte Silvia ihre Kündigung aus ihrem Briefkasten.

© Rilesi


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Rilesis Text landete übrigens auf dem letzten Platz bei einem Textwettbewerb. Die höher platzierten Beiträge möchte ich gar nicht lesen, denn besser als Rilesis Geschichte können sie auch nicht sein :). Danke für das Veröffentlichungsrecht hier :)).

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Tageslink: the Atelier of Virgil Elliott

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Ich grüße heute Neuenburg :))




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Wunderkiste



Lichtblick

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Desktopmotiv des Tages: heute ein Vergißmeinnicht, das in unserem Garten steht
 

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Wenn das Motiv gefällt, einfach draufklicken

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