Inspektor Hartmut von
Verdacht lief die Straße entlang. Einfach so, ohne Blut im Hinterkopf,
ohne eine Spur zu verfolgen. Denn sooo viele Gangster gab es in
Waldhausen auch nicht. Ab und zu ein Ladendiebstahl, der Mord an Doktor
Paul, der dann doch ein Selbstmord war und der chronische
Verfolgungswahn von Else Schnatterli.
Und kaum nennt man den Namen, kommt sie auch um die Ecke. Else
Schnatterli, die Miss Marple von Waldhausen. Hinter jedem Busch wähnt
sie ein großes Verbrechen und wenn ein Auspuff eine Fehlzündung hat, ist
sie die Erste, die den Inspektor anruft und "Selbstmordkommando vor der
Apotheke" schreit.
Doch heute war alles ruhig ... nur der leichte Januarwind wehte
Wintergedanken durch die Gassen.
Hartmut lief rechts und Else links. Dazwischen die Straße. Es könnte
wirklich ein Aneinandervorbeigehen werden, ganz ohne Schrei vom
Verbrechen oder Jagd nach den bösen Buben. Es könnten einfach nur
Schritte sein. Else in Richtung Cafe und Hartmut in Richtung Bücherei.
Wenn da nicht ... genau in dem Moment, als die Beiden sich grüßten,
pardon: grüßen wollten, ein Knall die Luft zerteilte. Oben aus dem
zweiten Stock über der Reinigung war er gekommen.
"Ich wusste es, ein Mord ... bestimmt die Mafia, der die saubere Hilde
kein Schutzgeld bezahlen wollte" rief Else über die Straße ... "ach
quatsch" antwortete Hartmut, um Zeit zu gewinnen. Er überlegte ...
schaute nach oben ... auf die Straße ... in sich hinein ... und wurde
von Else eindringlich unterbrochen "Nun schauen sie doch nach und stehen
sie keine Salzsäule in den Boden".
Genau in diesem Moment schlug mit splitterndem Lärm zwei Meter vom
Inspektor entfernt eine Sektflasche auf den Boden.
"Sagte ich doch, Mafia ... das ist bestimmt italienischer Sekt" wetterte
Else und fuchtelt mit ihrem Spazierstock Kreise in die Luft. "Nein, das
ist eine Schiffstaufe" brummelte der Inspektor zurück ... und schaute
nach oben. Eine blonde Schönheit schaute zum Fenster raus, das lange
Haar als wirres Gemälde auf ihrem Kopf tragend. "Scheisse" rief sie
wenig weiblich und verschwand wieder.
In diesem Moment gab es einen weiteren lauten Knall ... doch diesmal aus
dem Eingang der Bäckerei, vor der Else stand. Mit einem spitzen Schrei,
der übersetzt "Massenmord" heißt, dreht sich Else um ... Angst kennt sie
ja überhaupt nicht. Begleitet von einem etwas zu bösartigen Lachen des
Professors erblickt sie das Gesicht des kleinen Uwe, der breitest
grinsend eine kaputte Brötchentüte in der Hand hielt. Die eben noch ganz
war und mit Luft gefüllt, was aber durch Draufschlagen schnell geändert
wurde. Jaja, es war im ganzen Dorf bekannt, wie sehr alles, was knallt,
Else zur Hochform auflaufen ließ. Der zweite Knall war also im wahrsten
Sinne des Wortes eine Luftnummer.
Was aber war mit dem ersten Knall ? War es ein Sektkorken ? Wenn ja,
warum wurde dann die Flasche Sekt danach auf die Straße geworfen ? Soll
Hartmut ins Haus reingehen oder nicht ?
"Also wenn sie noch lange warten, dann brauchen sie nicht mehr ins Haus
zu gehen, dann ist der Mafiaboß schon längst durch den Hinterausgang
geflüchtet" meinte Else, die sich schnell vom Schrecken erholt hatte.
Und Hartmut ging wirklich ins Haus ... nicht, weil er auf Else hörte,
sondern weil er ein paar Minuten mal nichts von ihr hören wollte.
War Hartmut einem Verbrechen auf der Spur ?
Oder wartete er nur ab, um irgendwann wieder in seine Bücherei zu gehen
?
Blöd war nur, dass Else, so gerne sie auch Kuchen liebt, verdammt lange
darauf verzichten kann, wenn es um ein Verbrechen geht und mindestens
eine halbe Stunde da stehen bleibt und auf den Professor oder weitere
Morde wartet.
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