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4. Oktober 2011



Schon immer sah er im Herbst nicht nur die Jahreszeit, die dem Sommer folgte und den Winter erwarten ließ, nicht ausschließlich das Fallen von Blättern, und das Welken einst blühender Blumen. Es gab etwas, das ihn ganz direkt verband mit den Jahreszeiten, die mit ihm ähnlich umgingen, dem alten knorrigen Baum, als den er sich manchmal bezeichnete. Er musste an den Frühling zurückdenken, als das, was jetzt fiel noch im Gezweig schlummerte wie ein zugeklappter Schirm, der den Regen erhoffte. Der Winter erzeugte in ihm jene Starre, die er durch ausgedehnte Spaziergänge in seinem Wald zu vertreiben suchte, auch wenn die Wolken eisgrau waren und nach Altmetall schmeckten, wie er sich einmal ausdrückte.

Es war Ende September. Den erstaunlich warmen Tagen mit Sonnenreichtum folgten kühle, feuchte Nächte, die ein Schauspiel einläuteten. Schräg stehende kräftige Strahlen der Sonne fielen ins Laub und begannen es zu färben. Fast meinte er, dass jedes Blatt einzeln heran genommen wurde, um es ganz individuell für eine bestimmte Feier zu schmücken, ja vielleicht sogar für seinen Auftritt. Es betraf alle Laubbäume, die der gemeinsamen Einladung folge leisteten. Der ganze Wald tönte sich, bevor er sich färben ließ.

Das alles geschah bevor es sich löste und einzeln, manchmal in Wolken zu Boden fiel, taumelte, torkelte, strebte, sprang oder schwebte. Und manchmal fragte er sich, von wem es wohl ausging, vom Baum oder vom Blatt, und ob sich Beide zuvor geeinigt hatten, ob es Schmerzen waren für den, der etwas verlor oder für den, der ging. Die Mehrzahl der Blätter wurde auf einen Hang getrieben, viele fielen auf die breite Waldstraße - etwas deplatziert.

Er blickte auf seine Hände, auf die hervor stehenden Adern der Handrücken, auf seine Schuhe, die unter dem leichten Mantel neugierig hervor schauten und wischte sich eines der Blätter von der Schulter. Es hielt sich ausgerechnet an ihm fest, der selbst einen Arm gebrauchen könnte. „Du hast es gut,“ sagte er mehr zu sich, „du machst es mir vor, und ich zögere und verdränge das Gemeinsame mit dir, anstatt es zu sehen wie es ist.“

Aus der Nachdenklichkeit wurde Freude, dachte er daran, wie es schon in ein paar Monaten wieder grünen würde, und der Schnee etwas von Gestern war. Zuvor mussten aber noch einige der Herrschaften sich von ihren Würdenträgern lösen, und geschminkt oder ungeschminkt das ganze Theater über sich ergehen lassen. Wenn der Wind kam, und die Sonne sich rar machte, die Vögel längst im Zug über die kahl werdenden Wipfel gezogen waren und der Wald da stand, als hätte man ihm etwas gestohlen, um es ihm im Frühling reumütig zurück zu bringen ...


 



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