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27. September 2015


Das große Sonntagsinterview


Nicht nur groß, sondern auch ganz besonders ... und auf diese Weise nur auf Seelenfarben und nirgends woanders im Netz zu finden.

Er ist ein Sieger ... und vor 12 Jahren hatte ich es gewagt, diesen mir völlig unbekannten Menschen einfach mal zu interviewen ... direkt, launisch, kritisch ... heraus kam ein ganz tolles Interview.

Und jetzt, 12 Jahre später, habe ich ihm nochmal die gleichen Fragen geschickt und ihn gebeten, mir zu antworten, ohne die alten Antworten vorher durchzulesen.

Er ... das ist Dr. Jörg Sieger, damals Pfarrer in Bruchsal.

Meine Fragen und die Antworten damals und heute:


1. Darf ich Sie auch als Angehöriger der evangelischen Konfession interviewen ?

Antwort 2003:
Natürlich. Hat sich doch schon rumgesprochen, dass Katholiken bereits entdeckt haben, dass auch Protestanten Menschen sind. :-)

Antwort 2015:
Aber sicher doch.

2. Auch dann, wenn ich nicht mehr zahlendes Mitglied der Kirche, sondern ausgetreten bin ?

Antwort 2003:
Natürlich auch dann. Wenn ich nur Kontakt zu den Menschen suchen würde, die mir sowieso begegnen, würde ich mich kaum im Internet tummeln.

Antwort 2015:
Das macht - nicht nur für das Interview - keinen Unterschied.

3. Bin ich ein schlechterer Christ, wenn ich aus der Kirche ausgetreten bin ?

Antwort 2003:
Würde ich nie zu behaupten wagen. Über die Qualität eines Christen sagt die Mitgliedschaft in der Kirche noch lange nichts aus. Ich war in Not, und Ihr seid mir beigestanden - das ist das Kriterium, nach dem Jesus die Menschen misst und daran muss ich auch jeder Christ erst einmal messen lassen.

Antwort 2015:
Per se hat die Mitgliedschaft in einer Kirche noch nichts mit dem Christsein zu tun.

4. Ihre Internetseite ist hochgelobt und -dekoriert. Was ist das Besondere daran ?

Antwort 2003:
Zunächst einmal, dass es sie gibt. Ich versuche mit dem was mir wichtig ist, auf den Marktplatz zu gehen. Und ich falle damit ähnlich angenehm und unangenehm auf, als würde ich mich irgendwo auf einem öffentlichen Platz tummeln. Das zweite vielleicht ist, dass ich mich zumindest darum bemühe, verständlich und Klartext zu sprechen. Gelingt mir aber nur ab und an.

Antwort 2015:
Ich versuche immer "von unten" zu denken, von den Menschen auszugehen und so zu sprechen,
dass es auch verstanden werden kann. Man hat mir einmal gesagt, hier würden komplizierte Zusammenhänge ganz einfach ausgedrückt. Das war für mich höchstes Lob.

5. Wie sieht denn die Hölle aus ? Und was muss ich tun, damit ich dort "nicht" lande ?

Antwort 2003:
Hoffen! Schön kann es dort - nach all dem, was man so hört - kaum sein. Dass ich dort nicht lande, habe ich aber nicht in der Hand. Wenn es darum ginge, dass ich alles richtig machen müsste, dann sähe es düster aus. Das ist ähnlich wie bei der Straßenverkehrsordnung. Alle Ampeln richtig beachtet - einmal bei rot drüber und der Wagen ist kaputt. Aber ich hoffe ganz fest, dass Gott es gut mit uns meint. Und wer weiß, vielleicht meint er es so gut mit uns, dass es die Hölle zwar gibt, sie am Ende aber leer sein wird.

Antwort 2015:
Die Menschlichkeit nicht verlieren - im Sinne des: Ich war fremd und Ihr habt mich aufgenommen... Das ist überhaupt das Wesentliche. Den Menschen zu sehen. Christus hat uns nichts anderes vorgelebt. Und im übrigen bin ich der Hoffnung, dass Sie auch sonst nicht dort landen. Sollte es die Hölle wirklich geben, hoffe ich, dass sie leer ist.

6. Macht es dem lieben Gott überhaupt noch Spaß, dem Treiben hier unten zuzusehen ?

Antwort 2003:
Er muss sehr viel Spaß verstehen, sonst würde er das Treiben vermutlich nicht aushalten. Vielleicht lacht er mehr darüber, als wir uns vorstellen können.

Antwort 2015:
Das hat es ihm noch nie getan. Ich glaube er leidet darunter.

7. Lenkt er überhaupt oder schaut er nur zu, d.h. ist er nur da, damit man an ihn glauben kann und Stärke in ihm findet, aber letztendlich ist jeder für sich selbst verantwortlich.

Antwort 2003:
Oh ja, ich vertraue ganz fest darauf, dass er lenkend eingreift. Das ist meine große Hoffnung. Ich vertraue darauf, dass ich nicht Spielball des Zufalles oder auch eines unbarmherzigen Schicksales bin. Und erst recht nicht des besoffenen Autofahrers, der mich über den Haufen fährt. Wenn mein Leben enden soll, dann deswegen, weil Gott es so für gut erachtet.

Antwort 2015:
Biblisch betrachtet garantiert er die Ordnung. Es ist nur unsere Vorstellung, dass alles alleine und nach Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Nach biblischer Vorstellung ist es Gottes Werk, dass morgen die Sonne aufgeht. Ohne ihn stürzt alles ins Chaos. Verantwortlich sind wir für uns auf jeden Fall. Und wenn er nicht ordnend eingreifen würde, wäre die Welt auch schon lange an Ihrem Ende.

8. Was wäre, wenn der liebe Gott eine Frau wäre ? Ist es überhaupt ein Herr, kann man da unsere Geschlechterdefinition denn nehmen ?

Antwort 2003:
Gott ist eine Frau! Nein kein Flax. Er ist Mann und Frau und alles darüber hinaus. Gott übersteigt all unsere Vorstellungen und ihn als Mann zu denken ist schon ein wenig naiv. Aber ein Du ist Gott! Das ist mir wichtig.

Antwort 2015:
Warum soll er keine sein? Nein, Gott ist weder Mann noch Frau. Der Gott der Bibel ist so übergeschlechtlich, wie er überweltlich ist. Und Bild Gottes ist der Mensch - nach biblischer Auskunft - nur als Mann und Frau gemeinsam.

9. Warum sollte ich die Bibel lesen ?

Antwort 2003:
Weil genau das dort zu finden ist. Es gibt in der Bibel genauso viele mütterliche wie väterliche Aussagen von Gott und es gibt so viele Stellen, die einem die Augen öffnen, Leben frei machen und weiten. Man sollte allerdings eine gute Anleitung haben. Auch dazu kann man bei mir auf der Website was finden :-).

Antwort 2015:
Sollen Sie ja gar nicht. Aber wenn Sies tun - und das mit einer gescheiten Anleitung - dann bekommen Sie einige Antworten, die Orientierung geben können.

10. Gibt es Engel ? Und wenn ja, sind das die Seelen von Menschen, die früher hier gelebt haben ?

Antwort 2003:
Es gibt weit mehr zwischen Himmel und Erde als wir uns vorstellen können. Engel gibt es. Aber die sind anders, als wir es uns denken. Es sind erst recht keine Seelen von Menschen. Denn wir sind Menschen und keine Engel. Wenn ich es kompliziert ausdrücken darf, dann sind Engel die personale Beziehung Gottes zu uns Menschen.

Antwort 2015:
Quatsch. Engel sind keine Menschen. Sie sind die Beziehung Gottes zu uns Menschen, was auch immer das dann heißen mag. Manche brauchen den Ausdruck nicht, weil ihnen reicht, dass Gott eine Beziehung zu uns Menschen hat.

11. Meines Wissen dürfen katholische Pfarrer nicht heiraten und keine Kinder zeugen ? Ist das noch zeitgemäß ? Sollte nicht jemand, dessen Schäfchen verheiratet sind, Kinder haben und auch dementsprechende Fragen und Sorgen, "nicht" so weit weg von diesen Problemen sein.

Antwort 2003:
Sie wissen es richtig. Und es wird hinter den Türen auch kräftig darüber gestritten. Augenblicklich ist kaum zu erwarten, dass sich hier was ändert. Aber zeitgemäß ist es - zumindest für meine Begriffe - nicht. Gerade heute wäre das Zeichen des verheirateten Pfarrers in vielen Fällen vielleicht hilfreicher. Ist aber nur meine unmaßgebliche Meinung.

Antwort 2015:
Nein, ist es nicht. Und es ist - meines Erachtens - auch nicht gottgewollt, sonst würde Gott mehr Menschen für die Ehelosigkeit in unserer Zeit berufen. Wer hier die Zeichen der Zeit zu lesen verpasst, ist mitverantwortlich für das Ausbluten von Gemeinden, die in immer größer werdenden Einheiten zusammengeschlossen sind. Und die Zweite Frage haben Sie ja schon selbst beantwortet.

12. Kennen Sie "eine Geschichte von Gott", die der "Herman van Veen" erdacht und gesprochen hat ?

Antwort 2003:
Ich glaube ich habe schon mal von ihr gehört. Irgend was war da, aber fragen Sie mich jetzt ja nicht danach, um was genau es da ging. Nein, ich erinnere mich nur schemenhaft. Ich habe Herrn Dr. Sieger daraufhin die Geschichte zum Hören gegeben und er hat seine Antwort ergänzt: Ich kannte die Geschichte übrigens nicht. Sie ist bissig. Aber da ist was dran. Jesus tauchte damals auch nicht dort auf, wo man ihn erwartete. Und heute würde er wahrscheinlich zuerst dort zu finden sein, wo "anständige" Christen kaum wären. Und vielleicht ist er ja jetzt schon dort...

Antwort 2015:
Kenne ich (vermutlich immer noch) nicht :-).

13. Sie erinnern sich an den katholischen Priester, der zusammen mit Protestanten das Abendmahl gefeiert hat und deswegen suspendiert wurde ?

Antwort 2003:
Oh ja. Und es bedrückt mich auch. Vielleicht werden auch die, die es augenblicklich noch nicht tun, in ein paar Jahren den Kopf darüber schütteln. Möglicherweise ist noch nicht die Zeit für große Zeichen, aber viele kleine gibt es schon jetzt. Und es werden hoffentlich mehr.

Antwort 2015:
Tue ich. Und ich tue es mit Schmerzen. Da müssten (Gott sei Dank) viele auch suspendiert werden. Denn an der Basis ist so etwas schon längst Gang und Gäbe.

14. Lesen Sie die Bildzeitung ?

Antwort 2003:
Ne, liegt aber nur bedingt an Bild. Wenn ich mehr von dem erfahren wollte, was die Menschen bewegt, müsste ich es tun. Schaue dafür Werbung. Dort erfährt man auch das ein oder andere von dem, was so grad angesagt ist. Aber ich bin froh, wenn die Lokalzeitung einigermaßen gelesen bekomme. Zu mehr reicht es meist nicht.

Antwort 2015:
Nein. Dabei wären die Schlagzeilen oftmals guter Ausgangspunkt für Predigten.

15. Sind Sie dafür, das homosexuelle Paare den Segen der Kirche bekommen (bitte ihre private Meinung, unabhängig von den existierenden Bestimmungen ?)

Antwort 2003:
Wenn mit "Segen der Kirche" eine Hochzeit im gängigen Sinne gemeint ist, dann glaube ich nicht, dass das adäquat wäre. Hinter den Vorstellungen von Ehe, die Kirche hat, bleiben selbst die meisten Paare, die heute heiraten, zurück. Auf homosexuelle Paare passt Ehe und kirchliche Vorstellung erst recht nicht, weil die kirchliche Auffassung ganz stark mit dem Kinderkriegen zu tun haben, Weitergabe des Lebens und so ... Augenblicklich ist die Zeit wohl noch nicht reif für einen solchen Segen in der Kirche, da gilt es auch noch viel Verständnis in der ganzen christlichen Welt zu wecken. Aber ich denke, dass sich da in den nächsten Jahren etwas tun kann und auch tun wird.

Antwort 2015:
Bin ich. Und sie bekommen ihn ja auch sehr viel häufiger, als man es erfährt.

16. Was halten Sie von Eugen Drewermann ?

Antwort 2003:
Eugen Drewermann hat eine wichtige Korrektur in die Exegese (Auslegung der Bibel) eingebracht. Vielfach waren Exegeten nur noch damit beschäftigt, den Text so zu zerschnippeln, dass nur noch nichtssagendes übrigblieb. Was der Text für mich bedeutet, diese Fragestellung hat Drewermann wieder in den Mittelpunkt gerückt. Viele Ergebnisse von ihm sind großartig. Manches geht mir etwas zu weit. Ich möchte eigentlich nicht in jedem Fisch ein Phallussymbol sehen.

Antwort 2015:
Er ist einer der gescheitesten Köpfe, die wir haben, auch wenn ich seinen Ansatz oft für "sehr weit weg" halte. Hans Küng ist mir da näher.

17. Nennen Sie mir einen Grund, sonntags in die Kirche zu gehen ?

Antwort 2003:
Weils echt leben helfen kann. Wenn es das nicht tut, dann stimmt am Gottesdienstfeiern was nicht. Zugegebenermaßen stimmt es sehr oft nicht.

Manchmal (ich habe im Augenblick keine eigene Gemeinde) muss ich den selbst suchen. Die Predigt ist es leider viel zu selten. Eigentlich sollten die Gottesdienste so sein, dass sie Menschen gut tun, sie herausfordern. Das fehlt viel zu oft.

18. Wären Sie bereit, Fragen aller Art meiner Kalenderblatt-Leser (ich würde dann dazu aufrufen) zu beantworten ?

Antwort 2003:
Natürlich. Rufen Sie! Auf alle ernstgemeinten Fragen werde ich zumindest eine Antwort versuchen.

Antwort 2015:
Warum nicht?

ganz neue Frage:
19. Ihre Meinung zu Papst Franziskus ?


Antwort 2015:
Endlich mal wieder ein Papst, den man (fast) ohne wenn und aber zitieren kann - auch wenn es das, was er sagt, schwer hat, wirklich Gehör zu finden. Wenn der Papst sagt, dass jede katholische Gemeinde wenigstens eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen solle und Viktor Orban sagt "Wir sind ein katholisches Land" und deshalb nehme Ungarn keine Flüchtlinge auf (weil da ja auch Muslime drunter seien), dann macht das das ganze Dilemma deutlich!

--

Ich hatte mich übrigens gewundert, dass nicht mehr Bruchsal auf seiner Seite steht, sondern Karlsruhe und ihn gefragt, ob ich ihn nun "Pfarrer in Karlsruhe" nennen soll ... seine Antwort:

Nö, man hat mir meine Pfarrei gleichsam unterm Hintern wegrationalisiert. Ich bin jetzt offiziell beurlaubt und (mit vollen Bezügen :-)) ) beim Diözesancaritasverband Freiburg im Projekt "Nah an Menschen von weit weg" in der Koordination und Begleitung der Ehrenamtlichen in der Flüchtlings- und Asylarbeit tätig und habe das Gefühl an einer eminent bedeutenden Stelle zu stehen. Da, wo ich im Augenblick draufschauen darf, entdecke ich wirklich lebendiges Christentum. War in den Ortsgemeinden nicht immer so. Offiziell bin ich "Projektreferent".

Tageslink ist natürlich die Internetseite von Herrn Sieger:

Dr. Jörg Sieger - frischer Wind in einer alten Kirche



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