Der goldene Schlüssel ... weitererzählt ...


Es gibt ein Märchen der Gebrüder Grimm, das "der goldene Schlüssel" heißt.

Das ist kein richtiges Märchen, sondern ein sogenanntes "Vexiermärchen",
als ein Neckmärchen, das die Erwartungen des Hörers enttäuscht.
Man kommt sich veralbert vor, weil das Märchen endet, bevor es richtig beginnt.

Das Märchen geht so:

Zur Winterzeit, als tiefer Schnee lag, musste ein armer Junge hinausgehen
und Holz auf einem Schlitten holen.
Wie er es nun zusammengesucht und aufgeladen hatte, wollte er,
weil er so verfroren war, noch nicht nach Hause gehen,
sondern erst ein Feuer machen und sich ein bisschen wärmen.

Er scharrte den Schnee weg, und wie er so den Erdboden aufräumte,
fand er einen kleinen, goldenen Schlüssel.
Nun glaubte er, wo der Schlüssel wäre, müsste auch ein Schloss dazu sein,
grub in der Erde und fand ein eisernes Kästchen.

Wenn der Schlüssel nur passt, dachte er,
es sind gewiss kostbare Sachen in dem Kästchen.

Er suchte, aber es war kein Schlüsselloch da;
Endlich entdeckte er eines, aber so klein, dass man es kaum sehen konnte.
Er probierte, und der Schlüssel passte glücklicherweise.

Er drehte einmal herum, und nun müssen wir warten bis er vollends aufgeschlossen
und den Deckel aufgemacht hat, dann können wir erfahren
was für wunderbare Sachen in dem Kästchen lagen.

Das wars auch schon mit diesem Märchen ... und wenn wir nicht gestorben sind,
dann warten wir noch heute, dass das Kästchen endlich aufgeschlossen wird.


Irén ...

... wollte nicht länger warten ... und schrieb das Märchen einfach weiter:


Er öffnete das Kästchen und war etwas enttäuscht über seinen Inhalt.

Gold und Edelsteine hatte er erwartet, aber ganz sicher nicht das ... auf dem roten Samt,
mit dem das Kästchen ausgeschlagen war, lag ein kleiner Laib Brot, ein Zinnbecher mit Wasser
und ein Tonkrug mit Lampenöl, das höchstens für ein oder zwei Lampenfüllungen reichen würde.

Er hatte großen Hunger und Durst, aber würde er das Brot gleich essen
und das Wasser gleich trinken, würde es nicht mehr für morgen reichen.
Was sollte er tun ...?

Während er noch grübelnd vor dem Kästchen im Schnee kniete,
kam ein kleines, armes Mädchen vorbei, das Streichhölzer verkaufte.

Als sie das Brot des Jungen sah, bat sie ihn, ihr etwas abzugeben.
Es wird nie für uns beide reichen, sagte er.
Doch das Mädchen sah ihn so flehentlich an, dass er nicht anders konnte,
als ein Stück von seinem Brot abzubrechen und es ihr zu geben.

Nachdem sie in der kalten Nacht verschwunden war, bemerkte der Junge plötzlich etwas Seltsames:
Das Brot, das er in Händen hielt sah aus wie zuvor!
Hatte er alles nur geträumt?

Doch er hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern,
da er neben sich plötzlich ein lautes Scheppern hörte.

Ist da wer? rief er in die Dunkelheit.

Ja, antwortete ihm die Stimme einer alten Frau, ich bin gestolpert, da ich den Weg nicht mehr sehe.
Ich habe kein Öl mehr in meiner Lampe.

Ich habe welches, aber es wird mir kaum für meinen Heimweg reichen, entgegnete ihr der Junge.
Bitte gib mir welches, wir können ja gemeinsam den Weg gehen, schlug ihm die alte Frau vor.
Er willigte ein, sie zündeten eine Lampe an und machten sich auf den Weg.
Nach einiger Zeit mussten sie die Lampe erneut füllen.
Dies wiederholte sich noch einige Male, doch seltsamerweise ging das Öl nicht zur Neige.

Als der Junge zu Hause ankam lief ihm seine Mutter schon entgegen.
Wir haben kein Trinkwasser mehr, würdest du bitte zum Brunnen gehen und welches holen, bat sie ihn.

Er machte sich auf den Weg, doch als er ankam, stellte er fest, dass der Brunnen zugefroren war.
Vielleicht klappt es mit dem Wasser auch, hoffte er und leerte den Zinnbecher in den großen Wasserkrug.
Und tatsächlich - er füllte sich bis zum Rand und der Becher war nicht leer geworden!

Von da an musste niemand in dem Dorf mehr Hunger oder Durst leiden oder im Dunkeln sitzen,
denn wenn immer der Junge seine "Schätze" mit anderen teilte, wurden sie nicht weniger.
Weil er nicht für sich behielt, was ihm geschenkt war, machte er sich und andere reich.

Und das ist ja die Botschaft von Weihnachten: Gott kommt als Kind in diese Welt,
damit er uns alles schenken kann, was wir zum Leben brauchen.
Das können wir dann gerne großzügig an andere weitergeben, da es dadurch nicht weniger werden wird.
Im Gegenteil - die Freude der anderen wird auch unsere Freude werden!

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