Beates Tante ist vorgestern mit 90 Jahren
gestorben. Eigentlich ist sie das schon viel früher, seit Jahren lag sie,
nicht mehr in der Lage, an ihrer Umwelt teilzunehmen, in ihrem Bett im
Pflegeheim.
Sie war bereits, als sie zum ersten Mal durch die Tür ins Heim gegangen
worden ist, teilweise tot.
Gelebt hatte sie noch, als ihr Mann auch noch gelebt hatte. Ein
lebenslustiger, netter Kerl. Und sie genauso nett und Weltmeisterin in
Hilfsbereitschaft.
Ihr Mann starb mit ca. 70 Jahren, sie war da 74. Und lebte noch ... verlor
allerdings einen großen Teil von sich, der mit ihm mitbeerdigt wurde.
Beide lebten zu diesem Zeitpunkt bereits Jahre beim Sohn im Haus. Das alte
Ehepaar hatte ihr eigenes Haus verkauft und mit diesem Geld den Hausbau
des Sohnes unterstützt.
Nur hatten sie sich es sich bestimmt nicht vorgestellt, dass sie quasi als
Hausmeisterehepaar im Haus wohnten. Sie bezahlten alle Kosten des Hauses,
incl. Strom und Wasser, nicht weil sie mussten, sondern weil sich niemand
aus evtl. Gerechtigkeitssinn dagegen wehrte. Arbeiten durften sie auch, im
Garten und im Haus.
Als der Opa starb, kam dann irgendwann seine Witwe "probeweise" ins Heim.
Nach der Probe fand sie ihre Wohnung von 4 auf 2 Zimmer verkleinert vor.
Ebenso fand sie im Kühlschrank ... nichts mehr. Höchstens noch das alte
Brot, das die Schwiegertochter nicht mehr wollte. Gewollt hat letztere
aber die anderen Dinge, die man noch brauchen konnte. Wo sollen die auch
hin, die alte Dame hat doch zwei Zimmer weniger. Und ihre Enkel dafür zwei
Zimmer mehr.
Behalten hat die Dame allerdings ihr Bankkonto. Nur überließ sie auch das
der Schwiegertochter. Die hatte bestimmt Verwendung dafür.
Was die Schwiegertochter aber nicht hatte, war Zeit für die Oma.
Und der Sohn ? Der war irgendwie nie wirklich da. Er war ja verheiratet.
Und leiser. Eigentlich lautlos. Schweigend. Nicht handelnd. Doch, ab und
zu ging er zu seiner Mutter, legte den Arm um sie und sagte "ach Mama".
Dann ging er wieder zu seiner Frau und hörte, was sie ihm sagte. Was will
er machen ... seine Mutter verliert er sowieso, dann kann er das auch
jetzt schon tun. Denn wenn er zu seiner Mutter steht, verliert er seine
Frau. Während "verlieren" kein Wort ist, dass seiner Frau eigen war.
"Gewinn" schon eher. Reife und Menschlichkeit war aber damit nicht
gemeint.
Ja, Enkelkinder hatte die Oma auch ... ganz liebe Enkelkinder mit
aufhaltenden Händen.
Und so saß die Oma alleine in ihrer Küche, verkümmerte in Seele und
Körper, sprach mit der Fernsehansagerin und wurde irgendwann ins Heim
begleitet. Wenige Tage später waren ihre Zimmer daheim entrümpelt und neu
belegt. Rückkehr nicht geplant.
Von dem Zeitpunkt an baute sie immer mehr ab, hatte aber leider das Pech,
8 Jahre lang teilnahmslos im Bett liegen zu müssen, bis ihre Seele den Weg
nach oben fand. Vielleicht trifft sie dort ihren geliebten Mann wieder.
Linda war nie unglücklich, das konnte sie als "Helfertyp" nicht. Sie
lachte immer, war für andere immer da. Nur für sich selbst nicht.
Vielleicht würde sie von da oben, wenn sie es könnte, sagen: hey ihr da
unten, macht das anders. Seid ein bißchen egoistischer. Seid so nett, wie
es geht, aber nie auf Kosten eurer selbst. Seid nie nur Hausmeister und
Geldmaschinen. Seid und besteht darauf, Menschen zu sein. Mit gleichen
Rechten. Lebt nicht in den Einbahnstraßen des Gebens. Dafür sind Omas und
Opas zu wertvoll. Als Menschen. Das muss nicht dem Attribut "wertvoll
entsprechen", wie es von der anderen Seite gesehen wird.
Wer in den Arm nimmt, darf auch selbst in den Arm genommen werden.
Wer seine Hand reicht, darf sie nicht abgerissen bekommen.
Wer lächelt, darf nicht als Antwort eine fremde Hand in der eigenen Tasche
fühlen.
Lasst Euch nicht erpressen, nur weil ihr glaubt, auf Menschen angewiesen
zu sein.
Denn dann werdet ihr von schönen Seifenblasen umgeben sein, die beim
Angreifen zerplatzen.
[ für Linda ]
--
Für Linda [von Beate]
L i n d a - Du und Dein Name. Beides unvergänglich wie Musik die
erklingt und die man nie vergisst. Du hast die Welt und Menschen um
Dich herum zum Leben erweckt. Du hast den Sonnenschein genauso gemocht
wie den Regen. Für Dich hatte alles im Leben einen Sinn - auch wenn
das Leben Dir so manche Last aufgebürdet hat. Du hast alles getragen
mit Frohsinn und mit Würde und ... Du hast nicht nur Deine Last
getragen sondern die Last vieler anderer mit. Du warst Halt und
Zuversicht für viele.
Du hast Deinen Glauben an das Gute nie verloren und bist manch
unreifen Menschen mit einer unendlichen Liebe und Güte begegnet. Du
hast Menschen auf diese Weise Wege gezeigt, die einige leider doch
nicht erkannt haben. Den Weg des Herzens bist Du ein langes Leben
gegangen.
Du warst "nur" meine Tante. Aber für mich warst Du Alles. Du warst
Mutter, Freundin, Oma. In Deinem Leben hast Du mir alle Facetten
Deiner Welt still und ohne Worte, nur durch Dein Tun vermittelt. Du
warst unsichtbar für mich da und Du hast mir innere Stärke gegeben.
Stärke, die ich bei meiner Familie nie fand.
Und nun bist Du nicht mehr da. Sicher, ich wusste, dass einmal die
Zeit kommt, da Du andere Wege gehen wirst. Doch in mir ist ein See
unendlicher Tränen. Ich will Dich damit nicht festhalten. Ich lasse
Dich gerne Deinen Weg gehen.
Nichts hast Du Dir glaube ich sehnlicher gewünscht als am Ende Deines
irdischen Lebens anzukommen in einer Welt aus Liebe und Geborgenheit.
Und gerade jetzt zeigt mir Dein Sonnenschein, dass Du angekommen bist.
Ich liebe Dich und Du bist immer in meinem Herzen. |
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