Mit
dem Fahrrad
nach Peking (28)
Die Seelenfarben-Reise 2009
28. Juli 2005
Langsam wachen wir in unserem Hotelbettchen auf ... blinzeln in Richtung
der vermutlich weißen Decke ... und fragen uns: ja, sind wir denn noch
in Sibirien oder wie nennt sich das Gebiet rund um Irkutsk ??
Ja, wir sind noch in Sibirien ... das ist ein großes Land ... 15mal so
groß wie Deutschland, 61mal so groß wie Österreich und 125mal so groß
wie die Schweiz. Okay, nehmen wir doch mal das kleine Luxemburg, dann
ist Sibirien 1977mal so groß ... Luxemburg passt also fast 2000mal dort
rein.
Sibirien selbst nimmt ca. 30 % des Gebiets von Russland ein.
Jaja, solche Zahlen gehen uns in unserem Bettchen im Hotel durch den
Kopf ... und schon ...
... sind wir hellwach ;)).
Die Sonne auch ... sie scheint so viel wie Sibirien groß ist ... und so
starten wir bei 30 Grad in Richtung Baikalsee. Dieser See ist übrigens
... 12mal so groß wie Luxemburg und 60mal größer als der Bodensee.
In Kilometern: der Baikalsee ist ca. 670 km lang und 80 km breit. Da
fahren wir, wenn wir von ganz oben kommen, eine ganze Woche am Ufer
entlang.
Aber ... wir kommen ja nicht von ganz oben ... wir sind schon fast am
Ende des Sees und wollen ja nach unten (Süden) weiter ... so sieht das
auf der Karte aus:

Karte: Sanculotte
Lizenz
CC 3.0
Unten rechts seht Ihr den Maßstab ... und links unten auf der Karte ist
die Stadt Irkutsk. Von da aus geht es an die linke untere Spitze des
Sees. So arg viel am Ufer entlang werden wir gar nicht fahren *seufz*
... aber wir wollen halt nach China und keine Baikalseerundfahrt machen.
Die heben wir uns fürs nächste Mal auf ... haste gehört, Hermes *fg*.
Aber wir sehen ihn ja, wenn er uns auch nicht tagelang begleiten wird
... aber sehen alleine ist schon sooo viel Vorfreude, dass unser Herz
jetzt schon laut schlägt. Immerhin ist der Baikalsee Weltnaturerbe und
das wird man nur, wenn man etwas ganz Besonderes ist.
(Gedankenverloren stehen wir schon 15 Minuten mit unserem Rad am
Straßenrand und träumen vom Baikalsee. Als uns der Schweiß in die Augen
tropft, wachen wir auf, seufzen und fahren weiter).
Mehr als 30 Grad sind es ... ein Wetter für den Liegestuhl, aber nicht
das Sitzefahrrad. Dennoch ... wir wollten das ja alles so und fahren
schon weiter ... immer weiter ... immer vergnügt.
Wir schließen die Augen für einen Moment und träumen, es ging ewig so
weiter:

Wir öffnen die Augen und lächeln. Wir sagen uns "lächle und sei froh,
denn es könnte schlimmer kommen".
Und wir lächeln.
Wir sind froh.
Und ... richtig ... es kommt schlimmer.
Das Grauen hat einen Namen: Berge.
Ein bißchen kann uns aufheitern, dass uns ein Tankwart eine Flasche
süßen Sprudel schenkt. Wieder mal eine tolle Geste ... wir hätte aber
auch gerne 10 Grad weniger als Geschenk genommen. Aber wir wollen ja
nicht unverschämt sein ... gelle ?
Erstmal Pause ... unter einem schattenspendend Baum.
Und dann geht los ... eine 10 Kilometer lange Steigung wartet auf uns.
Sie schweigt uns beharrlich an, während unser Atem immer lauter wird. So
werden die Gegensätze größer ;)).
Erst ist die Steigung stetig gleich, dann wirds heftig und steil.
Die nächste Pause wird uns aufgezwungen ... lautstark ... ein Gewitter
meint, wir müssten die Fahrt mal kurz unterbrechen, bevor wir aus den
Latschen und vom Sattel kippen.
Und dann ... fängt Hermes an zu spinnen.
Im Gefühlsüberschwang, dass nach der endlosen Steigung eine grandiose
Abfahrt kommt, lässt er das Rad laufen und wird schneller und immer
schneller und erreicht sagenhafte ...
... 69 Kilometer in der Stunde.
Mit diesem vielen Gepäck wohlgemerkt.
_____
Liebe Leser, wir wissen nicht, ob Hermes kurzfristig lebensmüde war oder
euphorisch oder fatamorganisch oder einfach nur männlich markant schnell
... wir empfehlen ihnen, das nicht nachzumachen. Es gibt so viele
Mittel, um seine Grenzen zu erfahren, suchen sie sich davon ein
ungefährlicheres aus ... stundenlanges Marathonjäten im Garten oder
Extrem-Dusching oder den Fön auf kalt stellen und 15 Minuten auf den
Bauchnabel pusten.
______
Hermes hat es überlebt.
Unfallfrei.
Während wir als Zuschauer fast einen Herzkasper gekriegt haben.
Zur Belohnung und Beruhigung finden wir eine wunderschöne Waldwiese und
bauen dort unser Zelt auf. Ein bißchen Arbeit haben wir aber noch, denn
wir versiegeln die Nähte des Zeltes.
Und nun: gute Nacht.
(Wir träumen davon, dass Hermes 71 Kilometer in der Stunde fährt und
wachen schweißgebadet auf. Hermes lächelt stolz, als er uns sieht und
wir drehen uns auf die andere Seite und suchen so lange, bis wir den
nächsten Schlaf finden).
29. Juli 2005
Schon wieder Arbeit ... aber es ist halt so, dass die Bremsklötze von
Hermes Rad seit Bischofswerda drauf sind, die von seiner Mitfahrerin
seit Moskau ... da wechseln wir doch sicherheitshalber mal die Klötze,
denn wer schnell fährt, muss auch sicher bremsen können.
Die Sonne knallt wie gestern von einem wolkenlosen Himmel und die Berge
werden, auch wie gestern, steil und steiler.
Hermes bekommt die Strafe für sein gestriges zu-schnell-fahren:
[ Lieber Hermes,
zur Strafe wirst du deine Trinkflasche an einem Rastplatz vergessen und
das erst bemerken, wenn du dein Rad bereits 2 Kilometer eine Steigung
hochgeschoben hast. Du wirst zu Fuß umkehren und die Flasche holen. Da
du den Eindruck machst, als wärst du reuig und verschwitzt ...

... bekommst du eine Straferleichterung und ein Autofahrer wird dich
mitnehmen und zum Rad zurückfahren ]
Und nein, das ist kein Laptop, den Hermes da am Rad hat ;)).
..
Oben auf dem Berg kriegen wir Angst, dass wir unseren Verstand
verlieren. Denn wir sehen Bäume, an denen Stofffetzen hängen und überall
auf der Straße liegen Geldmünzen. Da wir trotz gründlicher Suche unseren
verloren geglaubten Verstand nicht mehr wieder finden, gehen wir davon
aus, dass wir ihn gar nicht verloren haben. Könnte ja sein, dass es
mitten in Sibirien Dinge gibt, von denen wir noch nichts wussten.
Wir machen einen Test ... wir fotografieren das Ganze und wenns auf dem
Bild auch drauf ist, dann ist das wahr, was wir gerade sehen:

Aha ... stimmt also ... gibt es also wirklich ... das ist ein
schamanischer Brauch, mit dem man die Dankbarkeit für das sichere
Erreichen des Gipfels zeigt. Niemand wird da auch nur eine Münze
aufheben und auch nicht die Geldscheine, die ebenfalls da liegen.
Wir genießen den tollen Blick ins Tal ...

... und fragen abends in einem kleinen Dorf, ob wir dort eine Nacht
zelten dürfen ... wir dürfen :)).
Wir sind fix und fertig und foxy und alle ... nur 29 Kilometer sind wir
heute gefahren. Eigentlich müssten wir ja genügend Kondition für mehr
haben, doch bei solchen Bergen hat man keine Chance auf große
Tagesstrecken.
Wir erinnern uns, wie wir bei Erklimmen des Urals gestöhnt haben ...
dabei war der ein Kinderspiel, verglichen mit den Bergen von heute.
30.
Juli 2005
Und immer weiter ... drehen sich unsere Räder ... die Berge hinauf.
Bei einer Pause hält ein Auto ... Männer steigen aus und fragen, wo wir
her kommen und wo wir hin wollen. Wir geben Antwort ... die Männer
schauen uns an und überlegen kurz.
Nach einer Gedenksekunde gehen sie zurück zum Auto und wir sehen nur
noch hektische Handbewegungen. Was wird denn das nun wieder ??
[ Fortsetzung folgt ]
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