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18. Januar 2015


So sieht er aus ...



... einer der besonders humorvoll und hintersinnig dichten konnte.

Ich möchte Euch heute vier Gedichte von ihm, Joachim Ringelnatz, vorstellen:


Gedicht 1 - ein Brett, ein Nagel, eine Schraube, ein Haken, die Liebe

Ein Nagel saß in einem Stück Holz.
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube
Und war eine Messingschraube.

Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
Sowohl in der Liebe, als auch überhaupt.
Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm
In einem Astloch. Sie wurden intim.

Kurz, eines Tages entfernten sie sich
Und ließen den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.
Noch niemals hatte sein eisernes Herz
So bittere Leiden gekostet.

Bald war er beinah verrostet.
Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube, wieder zurück.
Sie glänzte übers ganze Gesicht.
Ja, alte Liebe, die rostet nicht!


Gedicht 2 - Ringelnatz beobachtet eine Frau in der Küche

Doch ihr Gesicht,
Das sah ich nicht.
Nur Beine, Rock, gebeugten Rücken,
Ein nasses Stück vom Schürzenhang.

Das alles lebte sich beim Bücken
Und Wenden unterm Küchenlicht.

Ich aber stand im dunklen Gang,
Sah nach den unbewachten Beinen
Unter des hochgerutschten Rockes Saum.
Zwei sichre Arme dachte sich mein Traum.
Nur ihr Gesicht, das sah ich nicht.

Doch etwas war, als wäre es zum Weinen.

Kein Laut, kein Wort. -
Es ist auch nichts Zunennendes gewesen.
Ich aber weiß: Als ich den Gang verließ,
Schlich ich ganz innig leise fort,
Und war betrübt, als ich doch einen Besen
Umstieß.


Gedicht 3 - Wenn man man unnüchtern ist und einen Schlüssel in der Hand hat

Das Schlüsselloch, das im Haupttor saß,
Erlaubte sich nachts einen Spaß.
Es nahten Studenten
Mit Schlüsseln in Händen.
Da dachte das listige Schlüsselloch:
Ich will mich verstecken,
Um sie zu necken!
Worauf es sich wirklich seitwärts verkroch.
Alsbald nun tasteten die Studenten
Suchend,
Fluchend;
Mit Händen
An Wänden.
Und weil sie nichts fanden, zogen sie weiter.
Schlüsselloch lachte heiter.

(Die Herren erreichten ihr Zimmer nimmer.
Eigentlich war die Sache noch schlimmer.
Ich selbst war nämlich bei den Studenten -
Doch lassen wir es dabei bewenden.)


Gedicht 4 - Als hätte Rosamunde Pilcher einen Film über eine Glasscherbe gedreht

Eine Bierflasche ging in Scherben
Am Stein am See.
Dem Manne, der sie warf,
Brachte dieser Wurf Verderben,
Besser gesagt: Ein Fuß-Wehweh.
Glasscherben sind spitz und scharf.

Eine Scherbe, nicht die just gemeinte,
Reiste unfreiwillig strömungsfort.
Diese ward vom Meeresgrundesand
So gequält, daß alles Wasser weinte.

Nach Jahrenden trieb sie an den Strand,
Ferner Strand; war völlig abgeschliffen.

Hat ein Badestrolch sie aufgegriffen,
Merkte gleich, daß sie kein Bernstein, gar
Rauchtopas oder noch edler war,
Und ließ doch das funkelschöne Ding
Kunstvoll fassen in einen Ring.

Und vererbt, gestohlen, hingegeben
Mag die Scherbe durch Jahrhunderte
Als verkannte, aber doch bewunderte
Abenteuerin noch viel erleben.



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