
Sonntag
Ich zwinge mich noch etwas liegen zu bleiben.
Es ist hell, und das Fenster halb geöffnet.
Hebe leicht den Kopf, um schon etwas vom Sonntag einzuatmen.
Von seiner Alltagsbefreiung, seiner unverwechselbaren Leichtigkeit, die
er allen anderen Tagen voraus hat.
Im Dorf werden sich die Mädchen die Haare föhnen, Kirchglocken werden
läuten,
und fast hätte ich es verpasst, wäre ich nicht aufgestanden, um durchs
Fenster zu schauen,
dem ersten Wind zu, der die Zweige der Trauerweide bewegt und das
Teichwasser weckt.
Das Unsichtbare dieses Tages erobert man sich, indem man schweigt und
schaut,
das Fenster jetzt weit öffnet, um die frische Mailuft herein zu lassen,
die sich ausbreitet wie ein Sonnenaufgang.
Der Nachttau zieht seine Spuren an Blatt und Halm, an denen er herunter
rinnt.
Der Wald schläft noch.
Eine Katze kehrt von erfolgloser Jagd zurück, leicht gebeugt schleicht
sie
unter den morschen Brettern einer Scheune ins Stroh.
Gegenüber werden Vorhänge zur Seite geschoben, langsam, ganz langsam
wird es Sonntag.
Ich recke mich und spüre einen leichten Schmerz, der keinesfalls
körperlich zu verstehen ist,
es ist mehr einer, der ganz im Innern stattfindet, und nur von Gedanken
besiegt werden kann.
Gedanken, gute Gedanken können helfen und kleine Siege über das
Schlechte vollbringen.
Mit zwei Händen voller Kaltwasser tauche ich ein in die Wirklichkeit,
und lasse ausnahmsweise das Radio schweigen mit seinen schlechten
Nachrichten und Wetteraussichten,
mit seinen Werbespots für alles, was mir am wenigsten fehlt.
Musik bräuchte ich stattdessen, eine große Tagmusik, die mich mitnimmt
in den Sonntag,
damit er sich in mir entfalten kann bei einer Tasse Kaffee auf der
Terrasse,
während auf dem gegenüberliegenden First der Täuberich seine Auserquälte
nervt,
für die kein Sonntag ist, nur ein Tag wie gestern ...
Ich spüre, heute werde ich glücklich sein.
Text: Burkhard Jysch
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