Mai-Anne erzählt:

In unserer Gemeinde gibt es einen kleinen, aber feinen Kirchenchor.

Meine damals 14-jährige Tochter und ich gehörten mit ein paar Freundinnen zu den Gründungsmitgliedern.
Mein Bruder leitete den Chor, mein Neffe spielte die Orgel in der Kirche.
Das Singen und der Chor waren mir eine Herzensangelegenheit und jeder Gottesdienst,
den wir mit unserer Musik bereicherten, war etwas Besonderes.

So vergingen viele Jahre, der Chor fand Anerkennung über unsere Dorfgrenze hinaus
und es fanden sich immer wieder neue Leute, die bei uns mitsingen wollten.
Irgendwann gesellten sich auch Männer dazu und so
trafen sich ganze Familien jeden Dienstag zur Chorprobe.

Die Zeit verging und eines Tages stellte unser Chorleiter fest,
dass wir in diesem Jahr unser 25-jähriges Jubiläum feiern könnten.

Alle waren sofort begeistert von dem Gedanken an ein schönes Fest und der Zeitpunkt war schnell klar:
An Weihnachten hatten wir damals unseren ersten Auftritt: "Engel auf den Feldern singen ...",
so erklangen engelsgleich unsere Stimmen von der Empore unserer kleinen Dorfkirche.

Also wollten wir auch am ersten Weihnachtsfeiertag unser Jubiläum feiern!

Bereits im Sommer begannen wir mit unseren Planungen:
Ein Fotograf wurde bestellt: Wir stellten uns in Pose an den schönsten Fleckchen unserer urlaubsverdächtigen Heimat.

Es wurde in der Chronik geschmökert und eine professionelle 10-seitige Festschrift und eine Gästeliste erstellt.

Unser Chorleiter telefonierte sich die Finger wund:
Er verhandelte mit der Dekanats-Kantorin, die ein kleines Orchester leitete.
Wir stellten uns vor, dass wir am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages
zu einem anspruchsvollen Konzert in unsere Kirche einladen,
dass ein Streichorchester uns dazu begleiten sollte.

Auf dem Platz vor der Kirche wollten wir kleine Buden aufstellen,
in denen Glühwein ausgeschenkt werden sollte.
Dazu wollten wir Plätzchen anbieten und Würstle für die Besucher.
Wir dachten an Feuerkörbe, damit sich die Gäste am Feuer wärmen konnten, falls es sehr kalt werden würde.

Wir dachten erstmals daran, dass auch das äußere Erscheinungsbild maßgebend ist,
wir besprachen unsere Kleidung, bestellten einheitliche Schals und Krawatten für die Männer.
Kurz und gut – wir fieberten diesem Weihnachtsfest entgegen.

Ich war mit einer Sangeskollegin zuständig für die Dekoration:
In der Kirche, im Pfarrsaal, in und um die Buden, auf den Stehtischen im Pfarrhof,
auf dem Weg vom Parkplatz zur Kirche.

Den vollen Umfang dieses Amtes hatte ich bei meiner Zusage noch nicht erkannt.
Aber wie alle anderen war ich mit Feuereifer dabei.
Wir pushten uns gegenseitig, jeder gab sein Bestes und schließlich war der große Tag da!
Bis 15:00 Uhr sollte alles fertig sein, um 16:00 Uhr war gemeinsames Einsingen angesagt…

Wir hatten den Weg zur Kirche mit Windlichtern geschmückt,
meine gesamte private Weihnachtsdeko machte einen Ausflug in die Glühweinbuden.

Die Männer hatten massenweise Fichtenzweige im Wald geholt
und sämtliche Lichterketten von zuhause in den Pfarrhof geschleppt.

Eine Freundin hatte den Dachboden gestöbert und schachtelweise goldene Kugeln gebracht.
Die verarbeiteten wir mit den Fichtenzweigen zu glitzernden Girlanden,
die wir an den Seitenaltären befestigten.

Vor dem Kircheneingang wurde ein großer Baum aufgestellt.
Davor ein kleiner Tisch mit unseren Festschriften und dem Konzertprogramm
sowie ein hübsch dekorierter Karton für Spenden.
Weil das alles noch nicht wirklich einladend aussah, machte ich den Vorschlag,
dass wir doch das kleine Holzkripplein mit dem Wachs-Jesuskind dazu stellen könnten.
Das Jesuskind hat die Hände leicht angehoben, so dass man hinein interpretieren könnte,
es wolle die Konzertbesucher für ihre Spenden segnen.

Und so machten wir das dann auch.
Ich war fasziniert von meiner Idee und als alles fertig war,
ging ich mit den anderen nach Hause um mich frisch zu machen und zu stylen
für den großen Auftritt am Abend.

Die Generalprobe mit dem großen Händel-Halleluja war zwar gründlich in die Hose gegangen,
aber das ist ja ein gutes Omen für's Konzert, sagt man so.

Wir waren ziemlich aufgeregt, aber wir freuten uns über unser Fest.

Was wir nicht planen konnten, war das Wetter:
Am Nachmittag war innerhalb kurzer Zeit ein heftiger eiskalter Wind aufgekommen.
Und als ich da das Wachs-Jesulein nackt im eisigen Wind in seiner Krippe unterm Weihnachtsbaum sah,
wollte mir fast das Blut in den Adern gefrieren.
Das war ja zum Erbarmen!!!!

Aber wie sollten wir da jetzt so schnell noch Abhilfe schaffen???
Ich war den Tränen nahe ... und da schickte mir der Himmel in letzter Minute einen Geistesblitz:
Ich hatte doch in meiner Stofftruhe noch die Sachen von meiner Oma:

Nach ihrem Tod fand meine Mama in ihrem Schrank noch nagelneue gebündelte Wäsche
aus ganz edlen Materialien aus der Zeit um die Jahrhundertwende.
Ich hatte sie damals vor dem Altkleider-Container in meine Truhe gerettet.

Ich rannte nach Hause und suchte - und fand eine Unterhose!!!
Aus seidig glänzendem elfenbeinfarbenem Garn fein gestrickt ... das war es!!!

Kurzerhand schnitt ich die Hose oberhalb des Zwickels mitsamt dem Beinansatz ab.
Mit dem Rest eilte ich zurück zur Kirche ... mittlerweile dämmerte es schon leicht.

Und ich hüllte das Jesuskind in die Unterhosen meiner Oma.
Es lächelte mich dankbar an - und ringsum wurde eine Lichterkette nach der anderen angesteckt.
Der ganze Pfarrhof strahlte unserem Konzert entgegen.

Es war ein wundervoller Abend, das Händel-Halleluja gut gelungen,
unsere Gäste voll des Lobes über das schöne Fest
und die Spendenbox neben dem Christkindlein gut gefüllt.

Das Jesuskindlein hat seine wärmende Bedeckung behalten dürfen.
Es liegt seit jenem Abend alle Jahre wieder in seiner Krippe vor dem Volksaltar in unserer Kirche,
gewärmt von den Unterhosen meiner Oma.



Aber das wissen nur die Wenigsten ...

weiter