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21. August 2019
 




Herbstzeitlose

Man möchte meinen, schon das leise Klopfen des Herbstes zu spüren.
Nicht allzu deutlich, so im Vorbeigehen.
Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, denn wenn früh morgens
die kleine Senke in der Weide einen eleganten Schleier trägt, heißt das noch nichts.

Und dennoch habe ich ein feines Gespür für Veränderung.
Ich stelle fest, dass die Schwalben fort sind,
den Schmetterlingen der letzte Mut fehlt,
noch die allerletzte Blüte des Tages an zu tanzen,
und der Wald plötzlich beginnt,
nach alten getragenen Kleidern zu riechen.

Auch die Wolken kommen aus einer anderen Richtung,
auf der Suche nach anderen Zielen.
Ganz hoch ziehen sie geradezu Fäden, als sollte daraus etwas werden?
Die Plakate künden von jährlich wiederkehrenden Events
mit bunter Farbe auf welligem Papier, sprechen von Herbst.

In den Schrebergärten haben sie bunte Glühlampen auf die Hecken gelegt,
die am Abend mit Strom versorgt werden und jene Käfer irritieren, die es finster lieben.

Man sagt, dass der Wein frühreif ist, und dass er gut sein wird.
Nachbarskinder toben noch die letzten Stunden der Sommerferien aus.
Die Tage nehmen ab wie ein Kranker, der es nicht wahr haben will.
Längst haben die Sonnenblumen ihre himmelhohen Feuerräder
zur eigenen Freude ausgerichtet und bieten Schlafplätze für Spätheimkehrer.

Irgendwo stoße ich auch auf sie, die Herbstzeitlose, die mit ihren filigranen Blüten
in Rosa mich an die Krokusblüte erinnert, den bunten Meister des Frühlings.
Man sieht ihr das tödliche Gift nicht an, das sie in sich trägt,
wie so viele der anderen Pflanzen, wie so vieles auf dieser Welt.

Am Abend lasse ich die Fenster noch weit geöffnet,
um die Frische nicht auszusperren,
um dem Sommer noch eine kleine Chance zu geben,
mich des nachts zu besuchen.

Und wenn es sein darf, auch im Schlaf.

Text: Burkhard Jysch

 
 



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