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30. März 2021




Deichbeobachtungen

Mir fielen die Bäume auf.
Ihre Kronen in Fluchtrichtung gebeugt zum Land,
nicht ein Zweig der Gewalt widerstehend, nicht ein Stamm,
der dem aufrechten Streben zur Sonne zu folgen in der Lage gewesen wäre.

Jedoch schienen sie allesamt mit dem Boden verschweißt zu sein.
Ich stieg aus dem Wagen, indem ich die Tür aufdrückte,
die mich fast nicht ins Freie entließ, auf der Suche nach dem,
was vom Meer kam aus Nord Nordwest.

Durch die tränenreiche Aussicht getrübt, erschien mir alles wie in einem Film,
dem sie plötzlich die Leinwand als Projektionsfläche entrissen hatten,
um dem Zuschauer wahre Schauer ins Gesicht zu schlagen.

Die Wetterseite der Rinde dieser Bäume, geschmirgelt, rau polierte Unebenheit,
ging auf der Rückseite in Flechtschwämme über,
die sich ihren Platz inmitten des Geschehens ausgesucht hatten.

Mehr noch überrascht von den Farben war ich von der weichen Zartheit der moosigen Flechten,
wenn ich mit den Fingerkuppen über sie fuhr.
Vom Sturm abgewandt ließ es sich auf engem Raum wohl noch leben,
und konnte dem Treiben Richtung Deich fast ein Lächeln abgewinnen.

Mein Blick wandte sich nach unten zu den Wurzeln dieser gebeugten Kreaturen einer unbekannten Sorte,
der weder Salz noch Wind etwas anhaben konnte.
Die knochigen Finger krallten sich ins Erdreich, das aus einer Mischung aus dem
allgegenwärtigen Sand und einem Lehm bestand, der es verstand festzuhalten.

Bevor ich mich dem Meer widmen konnte, galt es den erst flach,
dann ansteigenden Hügel der Deichformation zu erklimmen,
der von flachen Gräsern bedeckt war, und von Hinterlassenschaften der Schafe,
die sich ums spärliche Grün bemühten.

Graue Sturmwolken tauchten das Wasser in ihren Farben,
während es im natürlichen Wechsel wieder nach oben stieg, und vom Wind ins Land getrieben wurde.

Es war heute wütend, weder glänzend noch still, voller Unruhe wie ich selbst.
Ich lehnte mich mit dem ganzen Körper gegen den mir entgegen schlagenden Wind,
und musste mich dabei umdrehen.

Genau wie die Bäume, die ich besser zu verstehen begann.

[ Burkhard Jysch ]



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