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13. August 2022




Das Pappelwäldchen

Sie brauchten wohl das Wasser.
Es schlängelte sich ums Wäldchen wie es ein junger Hund tut um die Beine seines Herrn.
Und ebenso voller Freude schien es den Pappeln zu gehen,
die sich steil nach oben aufrichteten, um dem Himmel ein Stück näher zu sein.
An ihren Zweigen entwickelten sich vom Frühjahr an dunkel grüne gezackte Blätter in Herzform,
die damit kein Zweifel ließen, dass es etwas mit Liebe zu tun hatte.

Was sie von anderen Bäumen unterschied war etwas sonderbar.
Selbst in einer gehörigen Entfernung von der Straße hörte ich sie rascheln,
was auf eine enge Berührung untereinander vermuten ließ.

In diesen Gedankengang vertieft fiel es mir nicht schwer daran zu glauben,
dass sie Geheimnisse austauschten, ebenso wie Nachrichten untereinander.
Durch ihre imposante Höhe lagen sie meist in der Windströmung, was hieß:
Sie hatten sich viel zu erzählen.

Im Herbst imponierten sie durch ihr in Gold gefasstes Laub,
in dem sich die tief stehende Sonne ein letztes Bad gönnte.

In sumpfig braun bis rötlichem Bachwasser schwammen Molche,
an den kleinen Abbruchkanten reckten sich Sumpfdotterblumen zum Wasser.

Durch Rohrverlegung wurde dann dieses Naturschauspiel auf eine typisch menschliche Art und Weise erledigt.
Der Bauer baute an, was Profit versprach und keine Romantik zuließ.
Nach und nach starben sie, meine gesprächigen Freunde, und blieben bizarr liegen,
da sich ins Wäldchen niemand hinein traute wegen seines tiefen Sumpfes.
In ihm blieben meine Stiefel so manches Mal stecken, wenn ich es weiter und weiter erobern wollte,
um noch unberührte Stellen zu erkunden.

Das Wäldchen ist noch da, nur die Entfernung zu damals lässt mich spüren, dass Zeit vergangen ist.
Und wenn ich so etwas spüre, ist es wie ein kleiner Schmerz, der gar nicht weh tut,
und wenn dann nur ganz innen, wo man dachte, dahin kommt doch nichts,
es ist doch beschützt, du hast doch eine dickere Haut an der so manches viel Schlimmere abgeprallt ist,
und was gehen dich eigentlich gefallene Bäume noch an?

Am Abend aber, wenn alle Bewegung des Tages still geworden ist,
regt es sich in den Blättern vom Abendwind, der sie streichelt,
als hätten sie es sich verdient in den Jahren so hoch gewachsen zu sein.

[[ Burkhard Jysch ]]



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