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20. Januar 2023




Die warme Stube
 
Über dem Land hingen Schneewolken.
Noch hielten sie, als wenn sie jemand hinderte sich fallen zu lassen
auf die braunen Frostrinnen der gepflügten Felder,
auf die Schwarzmäntel des Flattervolkes bei der Suche nach Nahrung.

Vielleicht würden sie reißen bei der Berührung der spitzen Zweige
des bergan strebenden Waldes, und wer weiß, ob nicht oben auf seiner Kuppe das schon passiert war?
All das geschah geräuschlos vor meinen Augen, die tränten unter der gestrickten Wollmütze.

Ich ging dann hinaus durchs Feld, und wollte es bis zum Horizont schaffen, woher sie kamen.
Die Sehnsucht einmal dahinter zu schauen bleibt wohl immer in jedem Menschen, wenn er die Welt betritt.

Ab und an krächzte es aus den Hälsen der Rabenkrähen,
die es wohl nie lernen würden es zu einem Gesang zu bringen.
Der kleine Bach neben mir war noch nicht ganz vereist,
in seine Bewegung hinein sah ich die Sommertage,
an denen wir Salamander und Molche aufsuchten, und wussten wo sie zu finden waren.

In den Fäustlingen krampften sich die kalten Finger umeinander,
und schlossen eine Wette darüber ab, welcher noch lebte.

In diesem durchkühlten Zustand galt mein Ziel schließlich der Oma nebenan.
Ich legte die Sachen ab und klopfte an die Stubentür ...

... am grünen Kachelofen, der bis zur Decke reichte saß sie,
wo sie immer saß, strickte, wo sie immer strickte, und lächelte mich an,
wenn ich herein kam und sie umarmte.
Ich meinte, dass sie stets tief einatmete, um den Duft ungefallenen Schnees zu riechen,
der aus meinem Pullover strömte.

Ich dagegen nahm den Bratapfel wahr, der in einem Zwischenfach des Kachelofens
seltsame Laute von sich gab, bevor er schließlich zwischen den Zähnen eines Hereinkömmlings verdrückt wurde,
weil sie es nicht mehr aushalten konnten.

In der Zeit des Auftauens sah ich die komplizierten Bewegungen diverser Stricknadeln,
deren Künste ich wohl schon bald am eigenen Hals verspüren würde,
denn die Farbe des unfertigen Schals glich verdächtig der meiner Mütze.

Oma erkundigte sich, ob schon Schnee liegen würde oben auf dem Hügel,
wo die Schlehen wucherten, oder wie viele Hasen ich sah, und was die Schule machte.

Meine Antworten waren alle an der reinen Wahrheit angelehnt,
wobei die Schulantwort sich nicht so sehr angelehnt hatte,
aber immer noch in der Nähe von Gut war.

Schließlich verließ ich das überhitzte Zimmer mit einem Blick,
der von einem anderen aus ihren hellblauen Augen erwidert wurde,
die genau so geblieben waren wie die auf den Fotos ihrer Jugendzeit.
Etwas, was die Zeit überdauerte und durchaus mit dem Himmel in Konkurrenz treten konnte.
Hinter den Schneewolken und den Schlehbüschen, da wo einer der Horizonte beginnt,
die auf mich warteten, um überschritten zu werden.

[ Burkhard Jysch ]

 



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