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27. März 2024

Heute:

"Tut Buße und lernt etwas dazu"

Mit einem Zwinkern versehen ... habe ich ja auch gemacht, das mit dem Dazulernen.

Man weiß ja nicht, dass es sowas gibt, bis man mal etwas davon gelesen hat.

Ich zeige Euch mal das größte seiner Art:



Das ist ein Paradoxon.
Doch dazu später mehr.

Wir sehen hier das Fastentuch im Freiberger Münster.

Zuerst mal zum Namen, nachher zum Zweck.

Das Fastentuch wird auch Hungertuch, Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen genannt.

Das in Freiberg ist das größte und misst ca. 10 x 12 Meter.
Genau: 124,2 Quadratmeter ... das würde in viele Wohnungen
auch dann nicht reinpassen, wenn man alle Wände einreißt.

Und das Gewicht ?
Mehr als eine Tonne ... wenn ein Mann 25 kg heben kann,
bräuchte man 40 Männer, um das fortzutragen.

Es hängt vor dem Altar der Kirche.

Wie lange hängt das da ?

Das Fastentuch kann während der gesamten Fastenzeit im Chor hängen, daher auch "Tuch der 40 Tage".
In manchen Kirchen wird es auch erst vor dem Passions- oder dem Palmsonntag angebracht.

Es hängt bis zum Mittwoch der Karwoche ... heute ist also der letzte Tag
und genau darum gibt es dieses Kalenderblatt.

Warum hängt das da ?

Das Tuch trennt die Gemeinde optisch vom Altarraum und dessen Schmuck
und erlaubt der Gemeinde, die Liturgie lediglich hörend zu verfolgen.
Zur körperlichen Buße des Fastens tritt eine geistliche.

Um das Jahr 1000 hat man damit begonnen ... aber zuerst war das nur
ein rein symbolisches Objekt aus einfarbigem Stoff.

Zwischen 1200 und 1300 kamen die künstlerischen Darstellungen auf dem Tuch dazu.

Nun kommen wir zum Unlogischen des Freiberger Fastentuchs ...



... ein Fastentuch dient ja dazu, das Kreuz zu verdecken ... und dann fing man an,
auf die Fastentücher ein Kreuz zu malen ... hier begann dann die Kunst,
den Gedanken der Theologie nicht mehr zu berücksichtigen.

Als Höhepunkt der Fastentuch-Kunst gilt das Tuch in Gurk (Kärnten):



Das sind 99 Einzelmotive in horizontal angeordneten Streifen.

So ein Fastentuch hängt längst nicht in jeder Kirche ... zum einen nur in katholischen,
zu anderen führen nur vereinzelte Kirchen diese Tradition fort.

So blieb z.B. das Fastentuch der christkatholischen Stadtkirche St. Martin
im schweizerischen Rheinfelden über 400 Jahre im Altar der Kirche verborgen
und wurde erst 1977 zufällig im Rahmen einer Zivilschutzübung entdeckt.

Ich könnte jetzt viele verschiedene Fastentücher zeigen,
aber es soll ja hier im Rahmen des Lesbaren bleiben.

Ich beschränke mich auf wenige, aber ich will zeigen,
dass es auch die moderne Form des Fastentuchs gibt:



Dieses wurde von der Künstlerin Johanna Sadounig gestaltet und hing in Villach.




Dies gilt als die größte Batik der Welt, wurde von Karl Wolschner gestaltet, auch in Kärnten.




Auf seine Weise durchaus beeindruckend ... in Klagenfurt das Fastentuch "Orakel" von Eva Petric.


Aber auch Kinder haben Fastentücher gestaltet ...



... wie dieses in Ossiach, auch Kärnten.
Gemalt von 18 Kindern im Alter von 7 bis 14 Jahren.

Ein Bild davon in groß:



Die Bildtafel "Auferstehung", gemalt von Sabrina, 8 Jahre alt.
So herrlich ... ich feiere das.

Zurück zu den klassischen Fastentüchern ...



... nein, nicht Kärnten, sondern in Liechtenstein.

Und nun zurück nach Deutschland, nach Zittau:

Dort gibt es das "Große Zittauer Fastentuch" ... das einzige erhaltene Fastentuch
vom "Feldertyp"  in Deutschland und das drittgrößte bekannte Hungertuch weltweit.
Es wurde 1472 in Zittau angefertigt und befindet sich heute in der dortigen Museumskirche.

Zeitmaschine ... wir sind im Jahr 1907 ... damals sah das Tuch so aus:



Doch, das Tuch ist farbig ... aber die Fotoapparate damals konnten noch keine Farbe.

Das Fastentuch ist 8,20 m × 6,80 m groß und zeigt auf insgesamt 90 Feldern
in 10 Reihen biblische Szenen aus dem Alten und Neuen Testament
von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht.
Die Darstellungen sind in Tempera aufgebracht ("nasse Tüchleinmalerei").

Wie alt ist das Tuch ?

Es wurde im Jahr 1472 von dem Gewürz- und Getreidehändler Jacob Gürtler gestiftet.
200 Jahre lang war es in der St.-Johannis-Kirche im Gebrauch
und trennte in der Fastenzeit den Altarraum von der Gemeinde.

Als es dann nicht mehr aufgehängt wurde, hat dieses Tuch jemand
in einen Raum des ehemaligen Franziskanerklosters gebracht.
Als später dort die Ratsbibliothek eingerichtet wurde,
verschwand es hinter den Bücherregalen und wurde vergessen.

Am 23. Juli 1757 brannte die Stadt lichterloh und 80 Prozent der Gebäude,
darunter auch die Johanniskirche, wo das Tuch lange hing, wurden ein Opfer der Flammen.
Doch das Kloster und die Bibliothek (und somit auch das Fastentuch) wurden wie durch ein Wunder verschont.

1840 wurde es in der Zittauer Ratsbibliothek wiedergefunden und das war eine Sensation damals.
Der spätere sächsische König Johann wollte das unbedingt als Leihgabe
für das Museum des Königlichen Sächsischen Altertumsvereins in Dresden haben.
Und dort war es für 34 Jahre dann dort als ganz besondere Sehenswürdigkeit zu finden.

1876 wurde es nach Zittau zurückgeholt und zu nur besonderen Anlässen gezeigt,
letztmalig war es unversehrt 1933 anlässlich der Tausendjahrfeier der Oberlausitz zu sehen.

Dann kam der zweite Weltkrieg.
1945 brachte man das kostbare Tuch vor der näher rückenden Front in Sicherheit
und lagerte es in ein Kellergewölbe der Burgruine auf dem Berg Oybin aus.

Doch dann ... schnipp schnapp ... 1945 zerschnitten sowjetische Soldaten das Tuch in vier Teile
und dichteten damit eine provisorisch im Wald errichtete Sauna ab.
Sachen gibts ...

... nach ihrem Abzug ließen sie das Tuch einfach im Wald zurück.
In äußerst schlechtem Zustand.
Dort lag es.
Und wurde nicht besser mit der Zeit.

Ein alter Mann hat es dann irgendwann gefunden.

Die Vorgänge über den Missbrauch des Tuches ...

... die wurden verschwiegen ... in der DDR über die Russen schimpfen, das dann doch nicht.

1993 ergaben glückliche Umstände den Kontakt zu den Textilrestaurierungswerkstätten
der Schweizer Abegg-Stiftung. Dort erkannte man den europäischen Rang des Tuches
und erklärte sich bereit, es unentgeltlich zu restaurieren.

Und heute sieht es so aus:



Seit 1999 befindet es sich in der säkularisierten Kirche zum Heiligen Kreuz
an einer vergleichbaren Stelle wie in der St.-Johannis-Kirche.
Es wird dort in der größten Museumsvitrine der Welt aufbewahrt.

Heute: eine Reise in die Geschichte und Gegenwart des Fastentuchs.
 



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